Die tatsächliche Geschichte der Standardspur

Heute sind, dank des Internets, Informationen nur ein Klick weit entfernt und doch sind es oft Fehlinformationen.

Mehr als 2000 Websites präsentieren die Geschichte wie die Standard- bzw. Regelspurweite bei Eisenbahnen (die Entfernung zwischen den zwei Schienen) entstanden sein soll. Egal welche Version sie auch lesen, sie werden ein wenig darüber lachen oder gar den Kopf schütteln müssen.
Am Anfang der Legende hieß es nur, dass der Radabstand von römischen Kampfwagen solch einen Einfluss auf die Briten hatte, dass 1400 Jahre nachdem die römischen Legionen weg waren er dazu verwendet wurde um die Spurweite der ersten Bahnlinien festzulegen. Mit der Zeit wuchs diese Geschichte immer weiter bis zu dem Punkt, dass alles eigentlich von der Breite eines Pferdes abhängig sein soll.


Jedoch steckt kein Körnchen Wahrheit in dieser interessanten Legende, die in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg begann. Etwas von den Römern blieb tatsächlich in Großbritannien, um genau zu sein in Housesteads, und zwar die Kampfwagen-Furchen am Osttor. Diese sind ziemlich deutlich erkennbar. Viele Autoren hatten dies mit in ihre sich immer weiter ausbreitende Legende der Fehlinformation aufgenommen. Dies erweckte schließlich den Anschein, dass an der Geschichte doch etwas dran sein müsste.
Römische Archäologie ist aber nun keine Wissenschaft die erst kurz nach dem Zweiten Weltkrieg begann. Römische Straßen haben in Großbritannien und anderswo in der Welt bestanden, seitdem sie vor ungefähr 2000 Jahren gebaut wurden. Die Furchen, die auf den gewölbten Straßen absichtlich gebaut wurden, waren für schmale gezogene Handkarren und nicht für Kampfwagen gedacht. Ohne die Furchen wäre es schwierig gewesen einen Karren auf der gewölbten Straße über eine weitere Strecke zu ziehen.
Obwohl die Straßen am Anfang für die römischen Truppen gebaut wurden, wurden sie auch damals schon für die Allgemeinheit angepasst. Die Breite von Pferdehintern, die in der Legende so eine wichtige Bedeutung hat, hat in Wirklichkeit überhaupt nichts mit der Breite der Kampfwagen zu tun. An einer Statue von Franzoni in den vatikanischen Museen ist ganz deutlich erkennbar, dass die beiden Pferde breiter sind, als der Kampfwagen mit seinen Rädern hinter den Pferden.

Also, wenn wir dann die Legende ignorieren, bleibt die Frage warum die Briten, die Amerikaner und viele andere sich für die Standard- oder Regelspur entschieden.

Es war ein Ergebnis von verschiedenen Windungen des Schicksals, bei dem Geld, Politik und ein Mann – George Stephenson – eine große Rolle spielten. Stephenson wuchs in den Bergwerksgebieten Großbritanniens auf und war ein Selfmademan. Gleise gab es in den Bergwerksgruben seit Mitte des 16. Jahrhunderts, so dass es nicht verwundert, dass es in England damals (um 1820) sehr viele ?Grubenbahnen? gab. Die unterschiedlichsten Spurweiten wurden hierbei verwendet.
Die Grubenbahnen waren dazu da es leichter zu machen schwere Wagen mit Erz und Kohle zu ziehen. Jede Strecke war eine abgeschlossene Sache für sich und es war kein einheitlicher Standard notwendig.
Später wurden die Gleise oft bis zum naheliegenden Hafen erweitert, um mit Pferden die Wagen dorthin zu fahren. Fest montierte Dampfmaschinen wurden gebaut um die Wagen unter Verwendung von Kabeln auf den Gleisen zu ziehen. Stephenson entschied sich als einer der ersten eine Dampfmaschine auf einen Wagen zu stellen. Das war keine allzu neue Idee. Bereits 1804 baute der Engländer Trevithick die erste Dampflokomotive der Welt. Stephenson arbeitete für mehrere Bergwerke, sodass er mit verschiedenen Spurweiten zu tun hatte. Er beschloss seine erste „Lokomotive“ für eine Grubenbahn, die zufällig 4 Fuß und 8 Zoll als Spurweite nutzte, zu bauen.
Seine Dampflok funktionierte, aber Stephenson lernte, dass sich die Schienen bei dem schweren Gewicht einer Dampflok etwas bewegen und es sinnvoller ist die Gleise einen halben Zoll breiter zu machen. Als in Großbritannien nun die erste öffentliche Bahnlinie gebaut werden sollte, befragte man Stephenson, der mittlerweile als Fachmann für Gleise und Bahnen bekannt war.

So wurde rein „einfachheitshalber“ das von Stephenson bereits verwendete Maß von 1435 mm (gleich 4 Fuß und 8 1/2 Zoll) verwendet. Im Laufe der Zeit schlugen viele Ingenieure vor mindestens 5 Fuß (1524 mm) zu verwenden. Doch mittlerweile gab es schon einige Strecken mit der Stephenson-Spurweite und so war es billiger und einfacher in dieser Spur weiterzubauen. Trotzdem entbrannte ein regelhafter Spurweiten-Krieg. Die verschiedensten Spurweiten wurde verwendet. Das ging bis zur 7 Fuß 1/4 Zoll (2140 mm) Spurweite der Great Western Railway und dessen Erbauer Isambard Kingdom Brunel. Trotzdem wurde letztendlich die Stephensonspur zur Standard- bzw. Regelspurweite.

Und Nordamerika? Als die ersten Bahnlinien gebaut wurden, war es nicht beabsichtigt Lokomotiven darauf zu verwenden. Anfangs waren es reine Pferdeeisenbahnen. Auch waren die ersten Eisenbahnlinien in den USA nicht für den öffentlichen Verkehr gedacht, wie in Großbritannien. Die erste Bahnlinie in den Vereinigten Staaten war in einem Granit-Steinbruch in Massachusetts gebaut worden. Diese Bahn wurde mit 5 Fuß Spurweite im Jahre 1826 errichtet. Die zweite Bahnlinie in den Vereinigten Staaten war eine Bergwerksbahnlinie die im Jahre 1827 fertig wurde. Die erste Lokomotive die in den USA eingesetzt wurde kam von Stephenson. Er sandte eine fertige Lokomotive und genügend Teile für eine zweite, die dann in den USA fertig zusammengebaut wurde. Dann entstand in den USA das Eisenbahnfieber und quer durch das ganze Land wurden Gleise verlegt. Kalifornien und die Südstaaten verwendeten 5 Fuß, Massachusetts, Connecticut, New York und andere verwendeten 4 Fuß 8 1/2 Zoll. Wie die Eisenbahnlinien immer mehr wurden, wollte man eine Hauptlinie von der Ost- bis zur Westküste zu bauen. Als das Pazifische Eisenbahngesetz 1862 beschlossen wurde, war es offensichtlich, dass die Nordstaaten mehr Einfluss hatten, als die Südstaaten. Obwohl Präsident Lincoln zuerst verfügte, dass die Gleise 5 Fuß Spurweite haben sollte, wurde das durch den Kongress schnell überstimmt. Hier war auch Bestechung von Kongressmitgliedern im Spiel, ausgehend von Kapitalanlegern an der Wall Street.

Der Erfolg der Stephenson-Spurweite begann also aus Begeisterung für das „zufällig“ von Stephenson zu Beginn verwendete Maß. Legenden von Kampfwagen und Pferdehintern werden sicher noch viele Jahre lang erzählt, aber die Tatsachen können noch viel interessanter sein.

mit freundlicher Unterstützung von B. Rieger